Meine Kindheit und Jugend waren geprägt von Erfahrungen, die sich kaum in Worte fassen lassen. Es fehlte mir so vieles, was für andere ganz selbstverständlich war.
Eine Pubertät? Die habe ich nie wirklich erlebt.
Während andere Kinder langsam erwachsen wurden, ihre erste Liebe fanden, Händchen hielten, sich küssten, ihre Körper entdeckten und prägende Erfahrungen sammelten, stand ich abseits – allein. Ich konnte nicht verstehen, was mit mir los war, warum ich so anders war, warum das Leben einfach an mir vorbeizog.
Keine erste Liebe. Keine zärtliche Berührung. Kein Verliebtsein.
Nur Unsicherheit, unzählige Fragen und das schmerzhafte Gefühl, etwas Essenzielles im Leben zu verpassen.
Da konnte andere Personen natürlich nichts dafür.
Eigene Kinder – ich hätte mir so sehr ein Kind gewünscht. Doch es sollte nicht sein. Wer kann da etwas für? Niemand. Und trotzdem muss ich damit leben.
Gab es jemals einen jungen Mann, der sich in mich verliebte, blieb diese Verbindung stets ohne Chance. Wissen Sie, warum?
Weil es immer wieder Menschen gibt, die von Intoleranz erfüllt sind und genau solche Beziehungen zu verhindern wissen.
Ob Freunde, Eltern, Verwandte oder Nachbarn dieses jungen Mannes – sie alle redeten es ihm aus: "Was willst du denn mit so jemandem? Das kannst du uns doch nicht antun, mein Junge. So etwas passt nicht in unseren Freundeskreis." Und so wurde ich für sie zur Zielscheibe von Vorurteilen – und für manche Ehemänner wurde ich zur heimlichen Geliebten-Die Schattenfrau.
Aber hier konnte ich auch mal nichts dafür. Nimm mal einem Hund den Braten weg, der spielt dann auch mit den Knochen, mit dem was man ihm übrig lässt. Somit ist mir ein erfülltes Leben durch die Laune der Natur ausgeblieben.
Ich war auf der Suche nach Arbeit, ausgestattet mit allem, was eine professionelle Bewerbungsmappe braucht – bereit, jede Stelle anzunehmen, die sich mir bot. Doch anstelle von Chancen erhielt ich nur verletzende Absagen. Kommentare wie: "Das müssen Sie doch verstehen, so etwas können wir unseren Gästen nicht zumuten" oder "Sie sind schlecht für das Geschäft, das können wir uns nicht erlauben" waren keine Seltenheit. Selbst für die Reinigung von Bahnhofstoiletten wurde ich verspottet: "Da springt Ihnen doch der Eimer weg," hieß es lachend.
Je mehr ich mich bewarb um eine Arbeitsstelle, um so näher kam ich an einer Adresse an, wo mich die Gesellschaft hingeschoben hat.
Im Jahr 1991 haben äußere Einflüsse und gesellschaftliche Umstände dazu geführt, dass ich eine berufliche Richtung eingeschlagen habe, die ich selbst vermutlich nicht gewählt hätte. Doch meine Oma ermutigte mich stets mit ihren weisen Worten: "Egal, was du arbeitest – solange du ehrlich, gewissenhaft und respektvoll bist, ist es genau richtig."
Ich habe mich passend angezogen, vorgestellt und präsentiert. Was danach geschah, hat mein Leben komplett und dauerhaft verändert.
Der Bordellbetreiber hat mir 30 Minuten zugesehen, wie ich mit dem Gast umgehe, den er mir zugeteilt hat. Danach rief er mich zu sich in eine Nische und zog den Vorhang zu. Ich hatte ein ungutes Gefühl, doch was dann passierte, war etwas, das ich nie wieder erlebt habe. Es ist in diesem Umfeld absolut unüblich und wirklich eine absolute Ausnahme, das können Sie mir glauben. Also, es geschah folgendes:
Der Betreiber des Etablissements sagte zu mir, dass ich mit der mir auferlegten Bürde ein Leben lang leben müsse. Doch ich sei ein viel zu wertvoller Mensch, um mich von solchen Männern herabsetzen oder entwerten zu lassen. Er wolle das nicht zulassen und versprach mir, etwas Besseres zu finden.
Willkommen im Leben !
Er gab mir jeden Abend 50.- DM und wies mich an, in dieser Ecke Platz zu nehmen. Dabei erklärte er, dass dies auch in den kommenden Abenden so gehandhabt werde, bis er eine passende Lösung für mich gefunden hätte. In der Zwischenzeit sollte ich Abstand zu den Gästen halten. Sollte ich mich nicht an diese Anweisung halten, würde dies meinen Wert mindern und dazu führen, dass er mich auf die Straße setzt. Doch bereits nach drei Tagen – oder besser gesagt, drei Nächten – brachte er mich nach Bonn in den Nightclub "Lady Hamilton", eine reine Animationsbar, und stellte mich dort vor. Danach brachte ich Günter, so hieß der Puffvater, zur Tür und verabschiedete mich von ihm.
Mit einer Prise Charme, einer guten Portion Raffinesse und einem Hauch Arroganz meisterst Du das Leben – und das Wichtigste: Bleib Dir selbst stets treu. Günters letzte Worte bevor er in die Nacht verschwand.
Er hat mir viel mit auf den Weg gegeben was mich davor bewahrt, auf die schiefe Bahn zu geraten, und dafür gesorgt, dass ich stets auf dem richtigen Weg geblieben bin.
Willkommen in Deinem neuen Leben
Nun ja, mein Glück war nur von kurzer Dauer, und nach drei Monaten verließ ich den Laden. Ich wechselte ins Cabaret "Chez Nous", das ebenfalls in Bonn lag. Nach kurzer Zeit fiel dort eine Tänzerin aus, und man bot mir an, für sie einzuspringen. Drei Jahre lang trat ich dort unter der Leitung eines Sardisten auf – sechs Nächte pro Woche – als erotische Tänzerin und Stripperin. Schließlich zog ich die Reißleine und beschloss, meinen eigenen Weg zu gehen: Ich habe mich als freischaffende Künstlerin mit einem Reisegewerbeschein selbstständig gemacht und war über zehn Jahre mit einer Künstleragentur als eingetragene Artistin auf Deutschlandtournee. Dabei trat ich unter anderem auch in Hamburg auf St. Pauli auf.
Mehr als 10 Jahre lang, mit gelegentlichen Unterbrechungen, zog ich im monatlichen Wechsel von Stadt zu Stadt. Sieben Tage die Woche, Nacht für Nacht, tanzte ich in einem Cabaret nach dem anderen. Zwischendurch arbeitete ich als Kommissioniererin oder Produktionshelferin, doch am Ende blieb ich meiner Leidenschaft treu. Der Beruf der Erotik-Tänzerin wurde nicht nur mein Job – er wurde zu meiner Berufung.
Ich habe die erotischen Fantasien der Männer in anspruchsvoller und kunstvoller Tanzperformance zum Ausdruck gebracht. Zu meinen Aufgaben zählte zudem die professionelle Auswahl und Begrüßung der Gäste am Clubeingang sowie deren Verabschiedung. Darüber hinaus habe ich Gäste betreut und animiert. Tätigkeiten auf den Zimmern habe ich jedoch nie ausgeführt, da dies nicht meinem Naturell entsprach.
Doch eines Tages spürte ich, dass es Zeit war, loszulassen. Mit einem letzten Auftritt, einem letzten Applaus, verabschiedete ich mich von den Scheinwerfern und schloss dieses Kapitel meines Lebens mit Stolz und Würde. Damit endete meine aktive Zeit: Gynga aus Hamburg sagt Lebewohl.