Jetzt weiss ich es...weiss ich es

was die Natur und das Schicksal mir angetan haben – nach all den Jahren hielt ich die Antwort endlich vor Augen.

Ghostrider

Eine scheinbar endlose Fahrt mit dem Ghostrider begann.

In den 1990er Jahren: Es gab kein Internet, keine Smartphones. Stattdessen nutzte man Telefonbücher, Festnetztelefone mit Wählscheibe und ein überschaubares Fernsehangebot – bestehend aus ARD, ZDF und WDR.

Es gab eine Zeit, in der es schwer war, sich zurechtzufinden und an Informationen zu kommen. Damals hatte niemand ein Wort oder eine Vorstellung dafür, was ich eigentlich war. Als mir das erste Mal klar wurde, wer oder was ich wirklich bin, hat das mein Leben stark verändert. Zu erkennen, dass ich etwas bin, das in der Gesellschaft keinen Platz hat, war sehr einsam. Es hat mich emotional mitgenommen, und ich konnte mit niemandem darüber reden. Diese Erkenntnis hat mich an meine Grenzen gebracht – bis zu einem Punkt, an dem ich völlig zusammengebrochen bin und sogar das Bewusstsein verloren habe.

Zu meinem Vorteil stand mir ein äußerst aufgeschlossener und vertrauenswürdiger Hausarzt zur Seite, dessen fachliche Expertise mein eigenes Wissen bei weitem übertraf.

Mein Hausarzt war äußerst hilfsbereit und hat mir alle notwendigen Informationen und Kontakte vermittelt, die ich brauchte, um mein neues Leben zu beginnen. 

Das Gesetz sah vor, dass eine betroffene Person, die den Weg zu einer geschlechtsangleichenden Operation einschlagen wollte, zuvor einen dreijährigen Alltagstest absolvieren musste. Dies bedeutete, dass man sich einer umfassenden Selbstreflexion unterziehen und in der angestrebten Rolle leben musste. 

Über einen Zeitraum von drei Jahren war eine kontinuierliche monatliche Begleitung durch einen Psychologen, einen Endokrinologen sowie den Hausarzt erforderlich. Zudem war es notwendig, drei voneinander unabhängige Gutachten vorzulegen, die von der Krankenkasse anerkannt wurden und die Notwendigkeit einer operativen Angleichung eindeutig bestätigten. Eine zentrale Rolle in diesem Prozess spielte der Psychologe. Er stellte mir spezifische Aufgaben, stellte Fragen – darunter auch solche, die oft unangenehm und verletzend waren. Der Umgang mit diesen Herausforderungen war keineswegs einfach, doch wenn man sich dazu äußerte, erhielt man lediglich die Antwort, dass ein Abbruch des Prozesses jederzeit möglich sei – was für mich jedoch keine Option darstellte. Ich habe alle gestellten Anforderungen erfüllt und durch die Unterstützung des Psychologen gelernt, auch in der Öffentlichkeit mit Emotionen wie zu Weinen umzugehen.

Die Gutachten, die meiner Krankenversicherung vorgelegten  wurden zweifelte der MDK an. Um jedoch sicherzustellen, dass die vergangenen drei Jahre nicht vergeblich gewesen sind, blieb mir lediglich eine letzte Option: 

Geldsack

Mein Vater und mein Opa liehen mir das Geld, was ich zurück zahlen musste.

Ich war gezwungen, die erste Operation eigenständig zu finanzieren mit 10.000 DM, die nur für den Chirogen gewesen sind.

Dann flatterten plötzlich all die Rechnungen ins Haus, und mein Briefkasten quoll über. Es handelte sich um eine Privatklinik, die wirklich alles in Rechnung stellte. Allein das Zweibettzimmer, von dem ich nur ein Bett nutzte, kostete über 400 DM pro Tag – und das für 21 Tage. Dazu kamen noch Kosten für Essen, Medikamente und Pflege, die alle separat berechnet wurden. Selbst die Anästhesie wurde einzeln abgerechnet. Es summierten sich Beträge in schwindelerregender Höhe, die ich unmöglich selbst tragen konnte, aber glücklicherweise von der Krankenkasse übernommen wurden, allerdings erst nach dem Prozess.

Die Gerichte waren überlastet, und es dauerte über zwei Jahre, bis der Prozess überhaupt ins Rollen kam. In dieser Zeit musste ich alle Nachuntersuchungen selbst finanzieren – ein absoluter Albtraum.

Die Waage der Paragaphen

 Hinzu kamen zahlreiche Komplikationen, erhebliche Schmerzen und die Notwendigkeit von Morphinen, um diese Schmerzen erträglicher zu gestalten. All dies ereignete sich zu Beginn der 1990er Jahre. Die genauen Daten sind mir nach all den Jahren nicht mehr präsent, doch der Preis, den ich für das Privileg zu leben zahlen musste, war außerordentlich hoch. Es war ein Preis, der sich weder in Deutscher Mark noch in Pfennigen begleichen ließ – ein Preis, den ich ein Leben lang zahlen muß. All das war das Ergebnis einer Laune der Natur, ein Schicksal, das sich weder damals noch heute durch mich ändern ließ.

Gevater Tod

Es ist unglaublich wichtig, dass es die Möglichkeit gibt, diese natürliche Gegebenheit zu korrigieren. Aber mit dieser Chance kommt auch eine Herausforderung. Eine Entscheidung für das Leben, wie ich sie getroffen habe, hat immer ihren Preis. Alles im Leben hat seinen Wert und fordert etwas von uns. Während manche dafür mit ihrem Leben bezahlen, zahle ich diesen Preis mit dem Verlust meines persönlichen Glücksgefühls.

Glauben Sie mir, niemand wählt sich ein solches Leben freiwillig aus. Es wird einem einfach vor die Füße geworfen, und man muss lernen, damit umzugehen. Zusätzliche Seitenhiebe von Menschen, die selbst damit nicht klarkommen, sind da wirklich unnötig, das ist unfair. Ich sage immer:

Wenn mich jemand nicht mag, liegt es vielleicht daran, dass er noch ein wenig an sich selbst arbeiten sollte – schließlich bin ich auch jemand!

Mit den Gegebenheiten meiner Geburt konnte ich mich lange Zeit nicht identifizieren. Es fiel mir schwer, diese Tatsache anzunehmen oder zu akzeptieren. Ich hatte den Wunsch, nicht so sein zu müssen, und erst im Alter von 50 Jahren gelang es mir, diese besondere Fügung der Natur zu akzeptieren. Erst zu diesem Zeitpunkt konnte ich Frieden mit mir schließen und eine Form der Freundschaft mit mir selbst eingehen. Sich selber erst so spät annehmen zu können, das will schon was heißen.